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Erschienen in 03.2025

Gerhard Ziebarth

Make your choice: Finanzielle Repression oder offene Inflation?

– Ein Kurzkommentar –

 

 

Die sich formierende Koalition von CDU/CSU und SPD hat sich auf Bundesebene in den letzten Tagen in ihren Sondierungsgesprächen auf Eckpunkte ihrer zukünftigen Zusammenarbeit in zwei zentralen Bereichen geeinigt.

Diese betreffen vor allem die Schaffung eines mehrjährigen kreditfinanzierten sog. Sondervermögens für die öffentliche Infrastruktur im Umfang von 500 Mrd. Euro für 10 Jahre sowie die zeitlich und quantitativ unbestimmte Aussetzung der grundgesetzlichen Schuldenbremse des Bundes für die Verstärkung der nationalen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Für die Bundesländer ist eine dem Bund entsprechende „Lockerung“ der in den Landesverfassungen verankerten Schuldenregeln ebenfalls geplant.  Deutschland wird nicht einmal mehr die erst vor kurzem auf deutsches Betreiben beschlossenen Europäischen Schuldenregeln einhalten können.

Analoge umfangreiche politische Beschlüsse (sog. Fünf Punkte Plan) zum Aufbau einer europäischen Rüstungspolitik und zur weiteren Erosion der gemeinsamen Fiskalregeln durch Aktivierung der „nationalen Ausweichklausel“ für die Mitgliedsländer wurden auf der EU-Ebene ebenfalls sehr kurzfristig getroffen. Ein EU- „Verteidigungsfonds“ in Höhe von 150 Mrd. Euro erweitert zudem die Verschuldungskapazität auf der supranationalen Ebene.

Die konkreten Umsetzungen und Verwendungszwecke all dieser großvolumigen ad hoc-Finanzpakete bleiben vorerst ungeklärt.

Fast zeitgleich hierzu hat die EZB mit konkreten Zinssenkungen ihren expansiven geldpolitischen Kurs für den Euroraum trotz anhaltender stabilitätspolitischer Zielverfehlungen ihrer stark aufgeweichten Stabilitätsnorm fortgesetzt.

Auch wenn die zeitliche Verteilung der effektiven Maßnahmen weder nach konkreter Art und Umfang derzeit bestimmbar ist und dieser abrupte Epochenwechsel nur im Sinne einer Szenarienbetrachtung wirkungsanalytisch zugänglich ist, lassen sich bereits klare Grundtendenzen erkennen und wichtige Schlußfolgerungen ziehen.

Wer auf einen „Kassensturz“ und eine gründliche Aufgaben- und Ausgabenkritik sowie eine strenge Prioritätenliste gehofft hat, sieht sich nun mit einem finanzpolitischen Füllhorn und einem Blankoscheck mit damit korrespondierender „Whatever it takes“-Doktrin konfrontiert. Hierzu gehört die Erkenntnis, dass eine regelbasierte Geld- und Finanzpolitik nun endgültig der Vergangenheit angehört. Da angeblich die Not kein Gebot kennt, lautet das Mantra: Staatsverschuldung  – ohne Ende! Dies betrifft die monetäre Schuldenpolitik der Geldpolitik (Geldbasisschöpfung in Form von demand debt gemäß der Terminologie von J. Tobin) ebenso wie die traditionelle fiskalische Schuldenpolitik des Staates im engeren Sinne.

Die monetären Rahmenbedingungen für diesen extremen Policy-Mix in Gestalt einer nun evident gewordenen fiskalischen Dominanz sind überaus günstig. Die jetzt politisch beschlossene Sequenz von expansiven Fiskalimpulsen trifft auf einen großen Liquiditätsüberhang im Bankensystem. Die absehbar höheren Zinsausgaben bilden bei historisch niedrigen Realzinsen keine echte fiskalische Haushaltsbremse. Das Stigma der Verfassungswidrigkeit und die „lästigen“ EU-Fiskalregeln sind abgeräumt. Das QE-Instrument für den  Ankauf von Staatsanleihen, ursprünglich nur für das Krisenmanagement konzipiert,  garantiert der EZB im Zweifelsfall hinreichend selektiven Flankenschutz für „bedrohte“ nationale deficit spender.

Fiskalimpulse dieser Art in Verbindung mit der monetären Alimentation haben nicht die erforderliche Qualität zur Stärkung der gesamtwirtschaftlich immer schwächeren Potentialkräfte. Die über viele Jahre aufgeschobenen öffentlichen Ersatzinvestitionen taugen nicht als Argument für eine höhere Netto-Neuverschuldung. Auch wenn der Begriff der Verteidigungsinvestitionen (in Form von „gross fixed capital formation“ bzw. „military inventories“) seinerzeit durch das ESVG 2010 Eingang in das Klassifikationsschema des Europäischen Systems der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen gefunden hat, so bleiben diese trotz statistischem Etikettenwechsel ökonomisch betrachtet faktisch Staatskonsum. Die damit verbundene Zunahme der Staatsquote absorbiert produktive Ressourcen und entzieht diese damit der Marktallokation. Hierauf sollten Ökonomen ihre Aufmerksamkeit richten, statt sich an kurzfristigen makroökonomischen Kreislaufimpulsen und Multiplikatoren zu „besaufen“. Am Ende der Debatte könnte man dann dem öffentlichen Gut „Verteidigungsfähigkeit“ ein Preisschild geben für den Verzicht an privatem Wohlstand. Aber Wohlstands- und Verteilungsfragen dieser Art werden politisch tabuisiert und mit schuldenfinanzierter Nachfrage temporär zugekleistert.

Die jetzt programmierte Schuldendynamik kennt keine Atempause und läßt sich in Anbetracht der ohnehin schon überaus prekären schuldenpolitischen Ausgangslage in Europa nicht mehr im Sinne einer dauerhaften Tragfähigkeit beherrschen. Als finale „Lösung“ und ultima ratio bleiben jetzt nur noch die Mittel der letzten Wahl: Die finanzielle Repression oder die offene Inflation. Während die verdeckte Inflation in Gestalt der finanziellen Repression durch massive Ankaufprogramme der Notenbank am Markt für Staatsanleihen den Nominalzins repressiv drückt und damit zukünftigen Konsum schmälert, betrifft die offene Inflation die Zunahme der statistisch ausgewiesenen Inflationsrate und damit die Verteuerung der heutigen Konsummöglichkeiten durch verstärkten Nachfrage- und Kostendruck. Das Ergebnis ist jedoch stets ein Verdrängungsprozess auf Kosten des privaten Sektors durch inflatorischen Druck. Eines Todes muß man nun nach Lage der Dinge früher oder später sterben: Make your choice!

Frankfurt a. M. am 9. März 2025

Gerhard Ziebarth

(Mitglied im Aktionskreis Stabiles Geld)

Ich danke insbesondere den Herren K.-H. Tödter und Thomas Jost für Ihre wertvollen Hinweise.